Montag, 12. November 2012

Noch mehr CO2 durch WKK

Fossile Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK) sind CO2-Schleudern. Trotzdem forciert Energieministerin Doris Leuthard deren Ausbau. Gegen den Plan formiert sich Widerstand.

Gegen 1 Million Tonnen CO2: Diese Menge an Treibhausgasen wird 2050 in der Schweiz pro Jahr zusätzlich in die Luft entweichen, sofern Doris Leuthards (CVP) Plan aufgeht. Um den Atomausstieg zu schaffen, will die Energieministerin fossile Wärme-Kraft-Kopplungs-Anlagen (WKK) finanziell unterstützen. Zum Vergleich: Der Ausstoss in der Schweiz beläuft sich derzeit auf 38 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. 

WKK sind dezentrale, fossil oder teilweise fossil befeuerte Anlagen, die künftig einen «wesentlichen Beitrag» an die Netzstabilität und die Versorgungssicherheit leisten sollen; dies geht aus dem Bericht des Bundesrats zur Energiestrategie 2050 hervor. In der Basler Gemeinde Riehen liefert zum Beispiel ein mit Erdgas betriebenes Blockheizkraftwerk Strom für 2700 Haushalte und Fernwärme für 430 Ein- und Mehrfamilienhäuser. Vor allem im Winterhalbjahr liefern WKK-Anlagen gleichzeitig Wärme und Strom und können laut Bericht die reduzierte Stromproduktion aus Sonne und Wasserkraft kompensieren. 

Damit setzt Leuthard nebst Gaskraftwerken – ihre Fachleute im Bundesamt für Energie (BFE) rechnen bis 2035 mit vier grossen Anlagen – auf eine weitere Form fossiler Stromproduktion. Heute liefern WKK-Anlagen 2 Terawattstunden (TWh) Strom – also etwa 3 Prozent des Gesamtverbrauchs in der Schweiz. Die BFE-Experten halten einen Zubau von weiteren 2 TWh bis 2025 und 3,4 bis 2050 für realistisch.

Damit der Bau von WKK-Anlagen in Schwung kommt, will Leuthard ein Fördersystem schaffen – mit Geld als Anreiz. Als Leitplanke dient die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV), mit welcher der Bund die Produktion erneuerbarer Energien ankurbelt. Heute liegt der gesetzlich festgelegte Maximalbetrag in der KEV bei rund 210 Millionen Franken. Weil der Bundesrat dieses Instrument im Zug der Energiewende weiter stärken will, steigt der Förderbetrag bis 2040 auf maximal 840 Millionen Franken. Leuthards Plan sieht nun vor, das WKK-Fördersystem mit höchstens einem Drittel dieses Betrags zu alimentieren. Damit könnte die fossile Stromerzeugung mit dreistelligen Millionenbeträgen subventioniert werden. Von diesem Geld profitieren sollen die Betreiber der WKK-Anlagen. Deren Strom, so die Idee, müssen die Netzbetreiber zu einem höheren Preis abnehmen. 

Leuthards Vorschlag befindet sich mit dem Rest ihres Energiepakets in der Vernehmlassung, die bis Ende Januar dauert. Wie sich zeigt, formiert sich von verschiedenen Seiten her Widerstand. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) wehrt sich gegen diese «einseitige Förderung», wie Geschäftsleitungsmitglied Stefan Muster sagt. «Der Markt muss entscheiden, was sich durchsetzt.» Deshalb müssten für alle Arten der Energieerzeugung die gleichen Rahmenbedingungen gelten.

Kritik kommt auch von der Umweltallianz, einem Zusammenschluss von Greenpeace, Pro Natura, VCS und WWF. Sie spricht von einer «massiven Subventionierung» fossilen Energieverbrauchs. «Mit diesem Vorschlag wird der Einsatz erneuerbarer Energien konkurrenziert und die angestrebte CO2-Reduktion in der Schweiz behindert», sagt WWF-Klimaexperte Patrick Hofstetter. Die Netzstabilität sei durch den grossen Wasserkraftpark sichergestellt, die Versorgungssicherheit sei primär eine Frage des geschickten Strommanagements.

Betreiber von WKK-Anlagen müssen gemäss Leuthards Plan keine CO2-Abgabe entrichten, dafür die CO2-Emissionen kompensieren. Inwieweit dies geschehen wird, ist umstritten. Denn als Kompensationsleistung dürfen die Anlagenbetreiber den Ersatz von alten fossilen Heizkesseln anrechnen. Hofstetter kritisiert dies, weil ein Teil dieser Kessel heute oder in Zukunft sowieso durch CO2-freie oder zumindest -ärmere Alternativen ersetzt werde – eine Problematik, die von anderen, ausländischen Kompensationsprojekten bekannt ist.

Das Bundesamt für Energie entgegnet, die Heizkessel-Frage werde «im Detail im Vollzug» geregelt. Dass die Förderung fossiler Stromerzeugung die Energiewende gefährdet, bestreitet das BFE: «Unsere Strategie orientiert sich an den langfristigen energie- und klimapolitischen Zielen des Bundesrats», sagt Sprecher Matthieu Buchs. Die fossilen und teilfossilen WKK-Anlagen sieht das BFE als Ergänzung zur unregelmässigen Stromproduktion aus erneuerbaren Energien. «Nicht als Konkurrenz», wie Buchs sagt. Der Bundesrat stelle strenge Rahmenbedingungen für die Wärme-Kraft-Kopplungs-Anlagen auf. So sollen nur grosse Anlagen mit einem Heizwert von über 350 Kilowatt in den Genuss von finanziellen Mitteln kommen, und zwar ausschliesslich da, wo bereits heute vor Ort Wärme benötigt wird. Kleine WKK-Anlagen sind vom Fördersystem ausgeschlossen.
WWF-Experte Hofstetter fordert, der Bund dürfe nur WKK-Anlagen mit erneuerbaren Energieträgern finanziell fördern. Doch dies ist nicht geplant. Anlagen, die zum Beispiel mit Biogas laufen, sollen kein Geld aus dem neuen Topf erhalten. Diese würden in der Regel durch die Einspeisevergütung unterstützt, sagt Buchs. Allerdings, so zeigt sich, stehen derzeit mehr als 21'000 Ökostrom-Projekte auf der KEV-Warteliste. Wann sie realisiert werden können, ist ungewiss.

Der Verband der Schweizerischen Gasindustrie (VSG) begrüsst zwar, dass der Bund die Bedeutung von WKK erkannt habe. Die exklusive Fokussierung auf grosse Anlagen hält er aber für verfehlt. Die gemeinsame Produktion und Nutzung von Strom und Wärme sei generell wünschenswert, allerdings ohne die Leistungsgrösse einer Anlage zu begrenzen, wie Sprecher Daniel Bächtold betont. Dies umso mehr, als das vorgeschlagene Fördermodell einen «übermässigen bürokratischen Aufwand» erfordere. Dies sehen auch die Stadtwerk-Kooperation Swisspower sowie der Städte- und Gemeindeverband so. Sie haben mit dem VSG nun eine Allianz gebildet, um in Bern ihrer Forderung «Nachdruck zu verleihen». 

Quelle: Tages-Anzeiger 12. November 2012

^^^ Nach oben

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen