Montag, 26. November 2012

Im Schattenreich der Jade-Zocker


SparerInnen jammern über niedrige Zinsen und bröckelnde Börsen. Doch ein Blick nach China zeigt: Es geht noch viel schlimmer. Dort stürzen sich Sparer inzwischen sogar auf wertlose Steine, um ihre Ersparnisse irgendwie anzulegen.
 
Eine Gasse auf dem Panjiayuan-Markt in Peking. Händler haben auf Decken erdfarbene und graue Steine ausgebreitet. Dutzende Menschen drängen sich um die kleinen Stände. Mittendrin hockt Li Pan, dreht die Steine in seinen Händen und beleuchtet ihre Oberfläche mit einer Taschenlampe. Manchmal glitzert unter dem Lichtkegel ein dunkles Grün. Du Shi nennen die Chinesen die kleinen Findlinge - Zockersteine. Diese könnten in ihrem Inneren viel Jade bergen, locken Händler die Kunden. Der Edelstein, dem heilende Kräfte nachgesagt werden, ist in China so begehrt wie in Europa Gold. Das Feilschen mit den Du Shi gibt es seit Jahrhunderten. Doch seit kurzem erlebt es einen Boom. 

In China existiert derzeit kein attraktiveres Spekulationsobjekt als Jade. Der Preis für die beliebte Sorte Hetian hat sich seit 2006 verdreißigfacht - von einer Million auf zuletzt bis zu 30 Millionen Yuan pro Kilogramm. Auch andere Sorten sind so teuer wie nie. Entsprechend groß ist die Gier der Zocker. "Ein Schnitt, und du weißt, ob du die Hosen eines Bettlers trägst oder die eines reichen Manns", zitiert Li eine alte Redensart.

Li leitet ein Architekturbüro, er trägt auch auf dem Straßenmarkt einen Anzug. Von Jade hat er wenig Ahnung, dennoch kauft er lieber Zockersteine als Aktien. "Es gibt kaum Möglichkeiten, profitabel zu investieren", sagt er. "Da kann ich auch zocken." Er wiegt einen großen Stein in der Hand und kauft ihn für umgerechnet 250 Euro. Es gibt viele Chinesen, die wie Li denken. 300 Millionen Menschen im Land gehören laut CNN Money inzwischen zur Mittelschicht. Die Chinesen können immer mehr Geld anlegen - doch die wenigsten wissen, wohin damit.

AnlegerInnen in Europa klagen derzeit über niedrige Zinsen. Aber verglichen mit den Chinesen leben sie im Paradies. In der Volksrepublik ist viel Geld in einem Finanzsystem gefangen, das seine Bürger zu Zockerei und kriminellen Winkelzügen verführt. Die Zinsen für Sparkonten sind bescheiden. Wer sein Geld für ein Jahr fest anlegt, bekommt rund drei Prozent Rendite. Die offizielle Inflationsrate lag im Oktober bei 1,7 Prozent, doch inoffizielle Schätzungen gehen von einer höheren Teuerung aus. "Man muss sein Geld schon mehrere Jahre auf dem Konto bunkern, um über der Inflationsrate zu liegen", sagt Peter Lundgreen vom Investmentberater Lundgreen's Capital. "Das kann sich kaum ein Kleinanleger leisten."

Alternativen sind rar. Die Kurse an der Börse in Shanghai sind seit 2007 um rund 70 Prozent eingebrochen. Nur abgebrühte Anleger kaufen noch Aktien. Aber die Möglichkeiten sind begrenzt: Wetten auf schwankende Wechselkursen sind verboten, ebenso Investitionen in Optionsscheine. Wer dennoch in diesen Märkten aktiv sein will, muss sein Geld mit Hilfe von Schattenbanken aus dem Land schleusen.
 
Lange Zeit waren Immobilien das bevorzugte Investitionsobjekt der Chinesen. Der Quadratmeterpreis betrug 2006 im nationalen Durchschnitt 3343 Yuan (umgerechnet rund 420 Euro), 2010 waren es schon 5393 Yuan. Wer ein Haus kaufte, dem schien eine satte Rendite sicher. Doch seit 2010 kämpft die Regierung gegen die Immobilienblase an. Sie hat die Regeln zum Häuserkauf verschärft. Die meisten Anleger dürfen maximal zwei Immobilien kaufen. Wer mehr will, bricht bisweilen das Gesetz. Mitte Oktober kam heraus, dass ein hochrangiger Offizier aus der Guangdong-Provinz 22 Häuser kaufte, indem er Onkel, Tanten, Oma, Opa oder Freunde als Besitzer eintragen ließ.

Die meisten Anleger aber halten sich an die neuen Regeln - was die Nachfrage drückt. 2011 fielen die Häuserpreise im nationalen Durchschnitt leicht, auf 5380 Yuan pro Quadratmeter. Auch 2012 stagnierten die Preise bis zum dritten Quartal. Darum suchen reiche Anleger nach neuen Möglichkeiten, etwa Kunst. 2011 war das Jahr, in dem ein chinesischer Landschaftsmaler Pablo Picasso entthronte. Zwar kennen nur wenige im Westen den Künstler Zhang Daqian. Doch blätterten Investoren allein im Jahr 2011 insgesamt gut 507 Millionen Dollar für seine Werke hin, rund 200 Millionen mehr, als in diesem Zeitraum für Picasso-Bilder gezahlt wurde. Allein Zhangs Bild "Lotus und Mandarin-Enten", ein Arrangement aus roten Blüten und schwarzen Blättern, war einem chinesischen Bieter 24,5 Millionen Dollar wert.

Wem Kunstspekulation nicht liegt, der verdingt sich bisweilen als Kredithai. Der Bedarf nach halblegalen Darlehen ist groß, weil chinesische Banken ihr Geld bevorzugt staatlichen Unternehmen leihen; dort ist das Ausfallrisiko am geringsten. Kleine Firmen und Privatinvestoren dagegen leihen sich oft auf dem grauen Kreditmarkt Geld - zu Zinsen von bis zu 30 Prozent. Ein lukratives Geschäft für wohlhabende Chinesen.Nach Meinung des Investmentberaters Lundgreen ist die Ursache für die Probleme klar. "Das chinesische Finanzsystem ist an vielen Stellen zu unflexibel", sagt er. "Es kann die großen Mengen Anlegerkapital nicht aufnehmen." Die Kommunistische Partei sei sich bewusst, dass das den Aufschwung bremse. Doch sehe sie in dem bestehenden System auch Vorteile. "Die Partei ist Eigentümerin der vier größten Banken", sagt Lundgreen. "Sie kontrolliert die Geldströme, und sie tut sich schwer, diese Kontrolle abzugeben."

Die Spekulation dürfte also weitergehen. Und mit ihr die Jade-Zockerei. Hobby-Zocker Li Pan geht vom Panjiayuan-Markt direkt in einen Laden, um seinen 250-Euro-Stein zu verkaufen. Doch der Händler klopft ihm nur tröstend auf die Schulter. "Du hast für heute genug Geld verloren", sagte er. "Ich werde deinen Stein nicht auch noch aufschneiden und dafür eine Gebühr verlangen. Man hat dich übers Ohr gehauen." Der Jade-Markt sei leergekauft, sagte der Mann. Man müsse weit reisen, um noch an gute Ware zu kommen. Auf dem ganzen Panjiayuan-Markt findet sich wohl kein einziger wertvoller Stein mehr.

Quelle: Spiegel Online 26.11.12 (mit Bildstrecke)

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